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Schafzüchter

Tiverton


In seinem wegweisenden Buch The Biggest Estate on Earth lässt der Historiker Bill Gammage die lang gehegte Annahme, dass Australien vor seiner Besiedlung eine ungezähmte Wildnis war, platzen wie eine Bombe. Gammage zeigt, wie außgewöhnlich komplex das von den australischen Aboriginis entwickelte und betriebene landwirtschaftliche System auf dem gesamten Kontinent war. Dabei stützt er sich auf schriftliches und visuelles Material. So haben die ersten europäischen Siedler beispielsweise stets angemerkt, dass das Land mit seinen Grasflächen, den Wegen, offenen Waldflächen und wilden Tieren wie ein englischer Landsitz aussehe.

Tim Hill, Verwalter von Tiverton.

Die Erhaltung des Bodens durch Feuer und die natürlichen Lebenszyklen einheimischer Pflanzen sicherten der indigenen Bevölkerung das ganze Jahr über einen Überfluss an natürlicher Nahrung und Unterschlupf. Erst als die europäischen Siedler anfingen, das Land in Besitz zu nehmen, wucherte das Land zu und wurde anfällig für die verheerenden und weit verbreiteten Buschfeuer, die Australien in neueren Zeiten erleben musste.

„Es ist erstaunlich, dass wir über so viele Jahre und Jahrzehnte lang fehlinformiert darüber waren, wie das Land früher einmal aussah. Deswegen ist es auch so schwierig, zu diesem Punkt wieder zurückzukehren oder zumindest irgendwie annähernd zu diesem Punkt“, sagt Tim Hill, Verwalter von Tiverton, einer 800 Hektar großen Merinoschaffarm im Western District von Victoria. Das Team um die Miteigentümer Harry Youngman, dessen Unternehmen Tiverton Ag beinahe 13.000 Hektar landwirtschaftlich nutzbares Land in der Gegend verwaltet, und Nigel Sharp, der auch das Mt Rothwell Biodiversity Interpretation Centre leitet, wägt seine wirtschaftlichen Interessen sorgsam gegen ökolische ab. Ziel ist es nicht nur, die Umwelt so wenig wie möglich zu schädigen, sondern die Qualität dieses Landes für die Zukunft zu verbessern. Inspiriert wurde das Team dabei von Gammages Forschungsergebnissen.

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Tiverton ist bekannt für sein wertvolles Grünland. Die Farm befindet sich auf einer weitgehend flachen Vulkanebene, die dieses Stückchen Erde ideal für Weideland und den Anbau von Gemüsepflanzen macht. Hier leben mehrere Tausend Merinoschafe, die eine Wolle von durchschnittlich ca. 15,5 Mikron liefern. Es liegt auf der Hand, warum Hill, Sharp und Youngman ihre Farm schützen und nachhaltigere Anbaumethoden finden wollen. Schließlich sorgt ein besseres natürliches Umfeld, das man zum Beispiel durch mehr und qualitativ hochwertigeres Gras sowie durch die Behebung von Dürreschäden erreicht, für eine bessere, stärkere und feinere Wolle. Dadurch erwirtschaften die Schafzüchter nicht nur einen höheren Return on Investment, sondern es zeigt sich darin auch ihre große und tief verwurzelte Liebe zum Land, denn die Australier waren ihrer vielseitigen und reichen Natur im Land schon immer voller Stolz verbunden. Dass man sich hier dazu verpflichtet sieht, die natürliche Biodiversität zu bewahren und nachhaltigere landwirtschaftliche Methoden zu finden, beweist, wie sehr es den australischen Schafzüchtern ein Anliegen ist, ihre Faser, wenn es um die Frage einer verantwortungsbewussten Industrie geht, zur ersten Wahl der Modedesigner und der Verbraucher zu machen.

Beim Kauf von „Tiverton“ vereinbarten Youngman und Sharp wirkungsvoll Youngmans landwirtschaftliche Kenntnisse und Sharps Erfahrungen im Naturschutz. Gemeinsam wollten sie lernen, was eine regenerative Landwirtschaft ausmacht, um eine qualitativ hochwertige feine Wolle zu produzieren und die einheimischen Gräser zu erhalten. „Wir hatten die These, dass die Mikrobiologie hier wirklich stark ist und dass der Boden uns etwas zu lehren hat, das sich auch auf andere Farmen übertragen lässt“, erklärt er. „Wir haben gelernt, dass man [für sein landwirtschaftliches Geschäft] nicht alles zerstören muss. Und außerdem haben wir gelernt, wie viel wir nicht wissen. Diese Investition ist ein kleiner Preis, den man im Interesse einer fortschrittlichen Landwirtschaft zahlt.“

Kompost war der Schlüssel für das gesamte Projekt. Die rohen Daten sprechen für die getane Arbeit sowie für die potenziellen Vorteile, die es mit sich bringt, dass sie das, was sie gelernt haben, auf natürlichere Weise in „Tiverton“ umsetzen. Auf seiner eigenen Farm „Adgartan“ hat Youngman die organische Substanz seines Bodens in sechs Jahren von rund 2,5 Prozent auf 7,2 Prozent gebracht und lag damit deutlich über dem Distriktdurchschnitt von 1,5 Prozent. Organisches Material ist der Abfall, der von mikrobiellen Populationen abgebaut und in den Boden - den Schwamm oder Humus der Erde - eingebaut wird. Dieses Material ist, wie Youngman sagt, „Mutter Natur in ihrer besten Form“.

Mit jedem Prozent organischen Materials kann ein Hektar Erde in der Anbausaison ca. zusätzliche 150.000 Liter Wasser speichern. Auf einem Grundstück wie dem von Youngman, wo der durchschnittliche Niederschlag 700 ml beträgt, konnte er die durchschnittliche Menge Niederschlag, die sein Boden speichern kann, um beachtliche zehn Prozent steigern. Youngman setzt alles daran, die Bodenqualität auf mehrere Arten zu verbessern. Bei sich zu Hause, in der Nähe von Hamilton, stellt er jährlich rund 8000 Tonnen Kompost her. Er beschafft Abfälle mit hohem Stickstoff- und Kohlenstoffgehalt, lagert sie und mischt sie nach einer strengen Analyse im richtigen Verhältnis. „Mutter Natur erledigt den Rest“, sagt er. Solche Initiativen tragen nicht nur zu einer effizienteren Landwirtschaft und einer hochwertigen Wollqualität bei, sondern auch zu einer nachhaltigeren Zukunft.

In „Tiverton“ sorgen die einheimischen Gräser und Kräuter für eine längere Vegetationsperiode und für eine gleichmäßigere Proteinversorgung der Schafe mit der feinen Wolle. Infolgedessen ernähren sich die Schafe in der Vegetationsperiode ausgeglichener, was zu einem gleichmäßigen Faserdurchmesserprofil führt, das in südlichen Hochregenregionen wie „Tiverton“ häufig schwer zu erreichen ist. Durch eine achtsame Rotationsbeweidung kann das Team von „Tiverton“ diesen Vorteil beibehalten und die Aufnahme im Frühjahr begrenzen, wenn andere Systeme Schwierigkeiten machen und ein Problem mit der Faserzugfestigkeit verursachen. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, wie naturverbunden „Tiverton“ ist und wie clever man sich hier landwirtschaftliche Methoden zunutze macht.

„Die einzige wirkliche Zukunft für dauerhafte und qualitativ hochwertige Ergebnisse im Naturschutz liegt in privaten Initiativen wie unserer.“
Harry Youngman
Harry Youngman

Besonders stolz ist das Team aus „Tiverton“ auf einen hochwertigen Zaun, der vor Raubtieren schützt. Dieser Zaun wurde mit Unterstützung von Zoos Victoria und dem Projekt Fighting Extinctions errichtet. Der Zaun ist ca. 18 km lang und verläuft um das gesamte Anwesen. Dadurch gehört die Farm zu den größten Anwesen in diesem Bundesstaat, auf denen keine Füchse vorkommen. Als eingeschleppte Art hat der Fuchs, wie auch Haus- und Wildkatzen, einen enormen Einfluss auf die Umwelt, da er den heimischen Lebensraum zerstört und sich ungezügelt fortpflanzt. Durch die Absperrung des Grundstücks sowie dank der sehr guten Qualität des Grünlands und spezieller Zuchtprogramme gibt es auf „Tiverton“ inzwischen deutlich mehr Tasmanische Langnasenbeutler. Das kleine, kaninchengroße Beuteltier, der Tasmanische Langnasenbeutler, ist in dieser Gegend zwar heimisch, gehört aber zu den am stärksten vom Aussterben bedrohten Tierarten des Landes. In der freien Natur gilt er als weitgehend ausgestorben. „Tiverton“ hat mit seinen steinigen Hügeln, dem Grünland und den saisonalen Feuchtgebieten das Potenzial, bis zu 1000 Tasmanische Langnasenbeutler auf seinem Anwesen leben zu lassen. Im Gegenzug helfen die heimischen Tiere wie der Tasmanische Langnasenbeutler, der Beutelmarder sowie das Felskänguru mit der Bodenqualität. Sie sind in den Worten von Youngman Bodeningenieure. „Diese Tiere sind diejenigen, die, wenn sie auf dem Grundstück leben, die Humusschicht des Bodens umgraben. Das ist ihre Aufgabe auf Erden und es ist unglaublich, wie gut diese Tiere darin sind.“

Die Leute von “Tiverton” sind die Ersten, die zugeben, dass sie nicht alles über eine progressive Landwirtschaft wissen. „Die heimischen Graslandschaften sind von einer Komplexität, die wir gar nicht richtig wertschätzen können, selbst wenn wir wollten. In den fünf Jahren meiner Verwaltertätigkeit habe ich gelernt, dass es immer noch besser geht, wenn man die verfügbaren Ressourcen und das erforderliche Fachwissen zusammbringt“, erklärt Hill. „Zumindest funktioniert die Rotation [von Schafen auf dem Grundstück] besser und auch die Wiederherstellung [heimischen] Lebensraums. Die Alternative sähe ja so aus, dass man das Land absperrt in der Meinung, es würde schon von allein wieder gesunden.“

Youngman stimmt zu und ergänzt: „Die einzige wirkliche Zukunft für dauerhafte und qualitativ hochwertige Ergebnisse im Naturschutz liegt in privaten Initiativen wie unserer.“ Wir wollen, dass das funktioniert. Wir wollen nachhaltige Methoden entwickeln, die sich hoffentlich zu gegebener Zeit an anderer Stelle kopieren lassen. Dieses kleine Fleckchen Erde gehört uns und wir wollen uns darum kümmern.“